"Weg in das Innere" - zur Malerei von Michaela Rothe

Das mediale Zeitalter, das mit dem Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts eine mannigfaltige Bilderflut entstehen ließ, und diese bis heute in ihrer Präsenz die visuelle Wahrnehmung auf Fixierung unzähliger Motive in deren hochtourigen Schnelllebigkeit zwingt, scheint dennoch in einem Prozedere ideeller Auseinander-setzung und manueller Fertigung – die Schaffung eines Kunstwerkes – ein fortwährendes Pendant der Andersartigkeit des Machens und des Verbleibs erhalten zu haben.

Mit dem Heraustreten einer Vorstellung in den Akt ihrer Formierung und Gestaltung setzt die zeitintensive Hinwendung und die mentale wie die 'auf sich besinnende' Konzentration des Befindens ein, die den Entstehungsprozess der Kunst begleiten. Als Ereignis der Abkehr von (störenden) äußeren Einflüssen wird dieses zugleich als unmittelbarer 'Akt der Schöpfung', wie er im Sinne von Klee nur noch in der Natur anzutreffen ist, empfunden und gelebt.
Gleichwohl als nachzuempfindende Situation des Werdens, kann in der Betrachtung eines Kunstwerkes, dieses rezeptiv geschehen - in dem Verlassen von Zeit, in einem fortwährenden Moment des Verweilens, im erkundenden Sehen. Letztlich wird so das 'Innere' des Kunstwerkes, in der größten Tiefe, gar das eigene Ich, möglich zu entdecken.

Die Kunst von Michaela Rothe offeriert diese Möglichkeit. Die Spannweite ihres Tuns macht die Dimension ihrer Malerei bewusst - das Selbst in der künstlerischen Auseinandersetzung herausfordern und in der ihr eigenen Bildsprache manifestieren.
Ihre unterschiedlichen Ausdrucksweisen markieren das Oeuvre, welches von den anfänglichen Papiercollagen im kleinen Format, über die mit Seidenpapier drapierten Acrylbilder bis hin zu den phantasievollen Objekten und Skulpturen reicht.

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Die warmtonigen, sakralen Hochformate, die sich im weitesten Sinn zu Beginn ihrer Entstehung auf das vertiefende Sein, das Erlebnis 'Sahara' gründen, finden unabhängig davon in einer jeweils anderen thematischen Auslotung eine malerische Konstante. Die Öffnung zum Inneren erfährt ein Symbol - in Form des Vierecks ein 'Tor', das imaginär Öffnung und Abgrenzung gleichermaßen impliziert. Die mit "Weg zum inneren Tor" betitelten Werke markieren Mitte der neunziger Jahre die bis heute gültige Bildsprache Michaela Rothes.

Ihre Malerei, die zwar durch Abstraktion den Gegenstand meidet und in der Farbgebung sich des informellen Ausdrucks bedient, kennt dennoch die kompositorische Wirkung subtil gesetzter Farbflächen, die zu geometrisch anmutenden Elementen der Darstellung avancieren. Aus der freien Form erwachsen so Motive des Unbewussten. In der collageartigen Ergänzung durch Papierteile oder mit kontrastgebenden Konturen und Farbflecken erfahren sie Erhöhung zum erzählenden Motiv - das Rechteck, das Quadrat als zeichenhaftes Bildzentrum. Auf diese Weise als vieldeutbare Form existent, assoziieren sie gar Landschaftsweite, Horizonte oder sogar Figürlichkeit.

Vom 'Inneren Tor' zum 'Talisman', zum 'Himmelsstück', zum 'Tor des Verborgenen' gewandelt, ist es motivisch der bedeutungsgeladene Eintritt in die individuell bestimmte und gleichwohl in eine ganzheitliche Welt. Es ist Sinnbild für den Zugang zur Seele - in das Innere des Menschen - für das in ihm existierende und ihn umgebende Universum.

Das haptische Erlebnis fügt sich der sinngebenden Betrachtung an, wandert das Auge über die strukturreiche Bildoberfläche. Seidenpapiere, auf der Leinwand drapiert, geschichtet und mit unterschiedlichen Lasuren versehen, regen ebenso wie die körnige oder pastose Farbsetzung zu phantasievollen Gleichnissen an.

Das macht auch den Reiz der Objekte aus. Papier handgeschöpft und zu einem inhaltsgebenden Ensemble formiert - ein Sinnbild verlassener wie vergangener Welten, die facettenreich mit überdauerten Fundstücken ins Jetzt weisen. Auf den Papieren finden sich skriptorale Zeichen als poetisches Zitat oder als Postulat eigener philosophischer Lebensbetrachtung. Der archaische Vorgang ihrer Herstellung und die verhaltene Ästhetik der Papierstücke kulminiert in einen sehnsuchtsreichen Vorgang der Hingabe, der sowohl das seelische Empfinden wie die tagträumende Phantasie herausfordert.

Das Universum des Ichs ist erfahrbar, ist mit der Malerei von Michaela Rothe verbunden und macht sie zu einer besonderen.
 
Frau Dr. Petra Lange